FOLKER (song | folk | global) 2020-02
„Nicht selten stellt sich der Weg eines Durchschnittslinken aus der 68er-Generation wie folgt dar: Schule, Lehre oder Studium, Radikalisierung, Demos, Teach-ins, intensive Lektüre marxistischer und/oder anarchistischer Theoretiker, Leben in WGs, verschiedene Jobs, Einstieg ins Berufsleben, Relativierung früherer Positionen, Anpassungsverhalten, zügig voranschreitende Verbürgerlichung bis hin zum konservativen Denken.
Da ist Bernd Köhler, in den Siebzigern unter dem Namen Schlauch bundesweit bekannt gewordener Liedermacher, allerdings aus einem völlig anderen Holz geschnitzt. Er ist sich selbst in seinem Denken und Handeln über Jahrzehnte treu geblieben. Wo andere Liedermacher sich in melancholischer Selbstbespiegelung gefielen, hatte Köhler stets den Gesamtzusammenhang im Blick, ging auch dorthin, wo es unbequem war, stellte sich und seine Lieder kompromisslos in den Dienst seiner politischen Überzeugungen.
Nun hat er ein Lieder- und Textbuch vorgelegt, das die Jahre 1967 bis 1989 dokumentiert. Einige Kapitelüberschriften mögen verdeutlichen, worum es damals ging: „Erkenntnis und Widerspruch“, „Gegen Faschismus und Reaktion“, „Solidaridad Internacional“, „Leben, Lieben, Lachen, Kämpfen“, „Nachrichten vom Untergrund“, „Exemplarische Antworten“. Köhlers Texte sind lebendiger Ausdruck einer Epoche, die bis heute nachhaltig präsent ist. Und – manche Texte sind nach wie vor erschreckend aktuell. Mitte des Jahres erscheint der zweite Band, Halt Los, Texte und Lieder 1990-2019.”
Kai Engelke
Mannheimer Morgen 10. März 2020
graswurzelrevolution nr. 446 März 2020
(…) Bücher mit Songtexten sind letztlich natürlich ein wenig ambivalent, denn etwas Wesentliches fehlt immer. Darum abschließend:
Was Bernd Köhlers ersten Band seiner textlichen Retrospektive auch und besonders spannend macht, sind das biografische Vorwort und vor allem die eingestreuten Originalfotos, -plakate und –dokumente. So berichtet Bernd Köhler im Vorwort etwa von der Inszensierung von Brechts „Baal“ der Theatergruppe des JUZ Limburgerhof 1969 – wer das weiß, findet gerade in den frühen Songs sehr viel Brecht wieder. Mein Liebling unter den historischen Dokumenten: Der Springer-Artikel „Solche Künstler machen Werbung für den DGB“ und die Antwort Bernd Köhlers (S.104f.). Im Anhang finden sich zusätzlich persönliche Anmerkungen (S.187 – 190) zu einigen Lyrics, die diese politische kontextualisieren. Diese Kontextualisierung hätte ich mir mehr gewünscht, denn gerade sie macht Bernds Lieder spannend.
Klar, was fehlt ist die Musik zum Text. Wer sich dieses Buch kauft, sollte auf eine Platte nicht verzichten. Bernd selber empfiehlt abschließend „Schlauch live – Das Hartmannstraßenkonzert 1989“ (zu bestellen unter seiner Mailadresse Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) , ich möchte unbedingt die CD „Keine Wahl“ dazu empfehlen, Neuaufnahmen von seinen Liedern aus Arbeitskämpfen von 1971 – 2013, die Bernd Köhler mit dem „kleinen elektronischen Weltorchester“ (ewo2) 2013 neu interpretiert hat (dazu gibt es übrigens auch ein Buch). Die „musikalische Zutat“ (Noten gibt es in dem Buch übrigens auch, aber damit kann ich nichts anfangen) zu den Texten ist auch deswegen relevant, weil Bernd es immer verstanden hat, sehr fähige und empathische Musiker*innen um sich zu sammeln – das ist eine sinnvolle Alternative zu dem, was Mannheim sonst so an musikalischen Söhnen und Töchtern aufzuweisen hat (wobei es da noch mehr gute gibt – exemplarisch seien Chaoze One, Überdosis Grau und Joy Fleming erwähnt...)
Torsten Bewernitz
ND - neues Deutschland 10. März 2020
A working class hero is something to be«,sang John Lennon in den 70ern, und Bernd Köhler war damals einer: ein linker Liedermacher, bekannt unter dem Spitznamen Schlauch, vor allem im Raum Mannheim-Ludwigshafen. Er sang vor streikenden Arbeitern, in Jugendzentren, auf Demos. Zum Beispiel 1972 das »Lied, zu singen,in der Zeit des Spätkapitalismus«, für ihn eine Zeit, »wo die Polizei auf Geiseln schießt, wo nur der Bonze Schutz genießt«. Oder das »Lied vom Aal« (1970), der ist natürlich »liberal«.
Zu finden sind diese Agit-Prop Stücke in dem Buch »Nachrichten vom Untergrund«. Darin gibt es auch die Titelseite seiner Diplomarbeit in Grafikdesign, einer »Aktionsmappe« gegen Franz Josef Strauß, den CDU/CSU-Kanzlerkandidaten 1980. Später, im 21.Jahrhundert, hat Köhler mit der Band ewo2 die alten Working-Class-Hero-Songs musikalisch und textlich dekonstruiert und ist dabei trotzdem sehr links geblieben. Das Lied vom Spätkapitalismus endet so:»Leute, überwindet diese Zeit, auf, macht mit – seid bereit
Und noch ein launiger Rundumschlag zum Buch
aus Folkworld - 07/2020
Angetan hat es mir die Lektüre auch, weil nebenbei auf die Präsenz von Salzgitteraner Wandermusikanten an der Ostküste hingewiesen wird. Mein Geburstort taucht darüber hinaus im Text des "Stahlwerkersong" (1981) auf: Wir kommen aus Hattingen, Salzgitter und Kiel, ...
Bernd Köhler, genannt „Schlauch”, begann seine musikalische Karriere im heimatlichen Ludwigshafen mit Skiffle-Musik, bevor er die Landser-Hefte beiseite legte, und zu Drecksau, Arschloch, Longhoraffe un Versager wurde, wie es im LIED VOM SCHWARZEN SAMSTAG (1980) heißt, der ins Arbeitslager oder nach drüben oder dem gleich die Rübe runter gehörte.
Die Widerstandsbewegungen der 70er- und 80er-Jahre oder streikende Belegschaften begleitete er singend:
„Erste Lieder entstanden eher beiläufig und als Podium dienten Konzertpausen bei Auftritten der "Old William Skiffle Champs". Rückblickend betrachtet war es so, dass ich, angeregt durch die Rundfunkprogramme, begann, meine Alltagswirklichkeit oder die Fragen, die mich im Zusammenhang mit dem großen und kleinen Weltgeschehen umtrieben, in Songs zu verpacken. Diese Aktualität erklärt wahrscheinlich auch den schnellen Erfolg, der eng mit meinem Spitznamen aus Schulzeiten (Ursprung unklar) verbunden war. So wurde "Schlauch singt" zu einer Marke für das engagierte Lied, zumindest in der Region.”
Bernd Köhler hatte das Glück oder Unglück oder einfach nur das Schicksal, in eine grundlegende Um- und Aufbruchszeit hineinzuwachsen, das versiffte 68; prägend für die SCHÖNEN LIEDER, die er in Folge schreiben sollte.
Schöne Lieder sing ich heute
denn ihr seid doch alles brave Leute
nicht politisch oder so
nirgends juckt euch doch der Floh
und ihr wisst doch alle, wie schön es ist
wenn man bei schönen Liedern seine Sorgen vergisst
Doch es gab mal ne Zeit, da hatte man zu denken vergessen
s'ist dreißig Jahre her, da hat man's dann auch ausgefressen
und ich mach mir da keine Illusion
und sage mir, das kam davon
vom Schöne-Lieder-Singen und vom Träumen
nur so kann man die zeit versäumen
Und heut ist es wieder mal soweit
es lebe die SS/SA-Einigkeit
überall marschiert sie schon
die schwarzbraune Reaktion
und deshalb, ihr Leute
ist keine Zeit für schöne Lieder heute
Köhlers langjähriger Begleiter Hans Reffert meint: „Was bei Bernd überzeugte, waren die realistischen Texte (auf dem Punkt) und sein wilder, energetischer Gitarrenstil (keine unnötigen Verzierungen und Mätzchen).”
Nachrichten vom Untergrund bietet eine repräsentative Auswahl an Liedern und Texten, teilweise mit Noten, aus den Jahren 1967 bis 1989. Sie erzählen von Aufbruch, den Idealen, Hoffnungen und Niederlagen... Viele haben nichts an Bedeutung verloren. Um einfach mal ein paar Schlagworte zu nennen: NPD-Parteitag, Chile-Putsch, portugiesische Nelkenrevolution, Falkland-Krieg, Pershing 2, Brokdorf, Barschel, Tschernobyl. Die Liste könnte noch eine Weile fortgesetzt werden.
Mitte der 1980er sollte Bernd Köhler erste Multimedia-Programme entwickeln, woraus sich das bis heute bestehende kleine elektronische weltorchester ewo2 entwickelte. Dies wird im bereits angekündigten Büchlein: HALT-LOS dokumentiert sein, das sich dem Zeitraum 1990 bis 2019 widmet.
Tom